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»Ich bin als Architekt nicht alleine. Ich mache alles im Team.«

Heiko Pihl ist gelernter Dachdecker, studierter Architekt, BIM-Manager, BNB-Koordinator und DGNB-Auditor. 2013 gründete er das Büro P+ Architekten Ingenieure in Dortmund. Zum zehnjährigen Bürojubiläum spricht er über den Geruch von Baustellen, KI, Nachhaltigkeit und werteorientierte Führung. Ein Blick zurück nach vorn.

Heiko, wie bist du zur Architektur gekommen?
Heiko Pihl: Das ist früh in meiner Kindheit angelegt. Mein Opa war Maurer. Damit verbindet sich für mich einerseits dieser spezielle Geruch von Zement und Baustelle. Andererseits hat mich Baustelle als solches schon immer fasziniert. Meine Mutter ist auf einem Bauernhof im Schwarzwald aufgewachsen, da waren wir später oft im Urlaub. Die Räume und Scheunen, das Hell und das Dunkel, das zu gestalten, das wollte ich immer machen.

Als Architekt trägt man viel Verantwortung. Wie gehst du damit um?
Eines meiner ersten Projekte nach dem Studium war ein Hausumbau für meinen Hausarzt. Das waren allerdings sehr viele Eingriffe in den Bestand. Ich war dann freitags einmal allein auf der Baustelle und der komplette Giebel war abgerissen. Es war total windig und der ganze Dachstuhl stand nur noch auf einer einzigen Stütze. Und da habe ich gedacht: »Wenn das jetzt hier gleich alles zusammenbricht, was sage ich denn dann den Bauherren?« Da hatte ich einen Schlüsselmoment. Die Stütze hatte ja ein Fachmann dahin gestellt. Da wurde mir klar: Ich bin als Architekt nicht alleine.

Heiko Pihl

»Damals habe ich verstanden, ich mache alles im Team. Ich gebe natürlich sehr viel vor, aber trotzdem lastet die Verantwortung nicht allein auf mir.«

Heiko Pihl

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Die ersten Projekte

Kannst du dich noch an deinen ersten Arbeitstag als P+ Architekten Ingenieure erinnern?
Nicht so richtig. Das ist nicht so klassisch abgelaufen, wie man eine Unternehmung eigentlich startet. Dass man zu seinem Steuerberater geht, dass man einen Businessplan schreibt und zur Bank geht. Ich war damals noch in meiner alten Gesellschaft tätig und habe im Sommer 2013 mehr oder weniger parallel mit eigenen Projekten angefangen.

Womit ging es dann los?
Die Projekte, mit denen ich gestartet bin, kamen über einen früheren Chef. In einem Projekt sollte ich ihn mit dem Wissen, das ich in der Ausführungsplanung und Bauausführung hatte, unterstützen. Im Verlauf hat er dann das ganze Projekt an mich abgetreten. Weitere Projekte waren zwei Kindergärten in Hagen – ein Umbau »Am Spielbrink« und ein Neubau an der Louise-Märker-Straße. Ab September 2013 waren wir dann zu dritt und im Dezember sind wir hier in die Schönhauser Straße gezogen. Ab da würde ich auch von »Büro« mit Bürostrukturen nach meinen Vorstellungen sprechen.

1. Preis Wettbewerb Wohnungsneubau in Dortmund-Hörde

Was waren und was sind die herausragenden Projekte?
Herausragend im wahrsten Wortsinne, das war für mich immer der Florianturm im Dortmunder Westfalenpark. Wir arbeiten jetzt fast zehn Jahre daran: Brandschutz, technische Sanierung, aber auch anspruchsvolle gestalterische Aufgabenstellungen unter Einhaltung des Denkmalschutzes. Dazu kommen natürlich zahlreiche weitere Projekte wie Kitas, Schulgebäude, die Entwicklung serieller Sporthallen, das Sozialamt in Dortmund, das Citytor Bochum, die AOK-Arbeitswelten und aktuell mehrere Wohnungsbauprojekte unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und öffentlicher Förderung.

Lief auch mal was nicht so gut?
Ein sehr ambivalentes Projekt war das InterCity Hotel Dortberghaus am Dortmunder Hauptbahnhof. Das waren schwierige Rahmenbedingungen: hoher Kostendruck, Sanierung im Einklang mit dem Denkmalschutz, Entwicklung des Innenhofes mit der benachbarten Bank. Aber ich habe sehr viel daran gelernt.

Inwiefern?
Wenn ich heute unser Büro vorstelle, formuliere ich früh, dass unser Anspruch ist, Projekte miteinander zu machen und nicht gegeneinander. Ich glaube, wir müssen aus der Mentalität der Schuldzuweisungen und Rechtsschutzversicherungen herauskommen. Kaum läuft es mal nicht gut, hat jeder seinen Vertrag in der Hand und schaut, was er muss und was er nicht muss. Dann bewegen sich Projekte nicht mehr nach vorne, sondern eher nach hinten.

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Transformation, Digitalisierung und KI

Welche Themen haben dich über die Jahre am meisten beschäftigt?
Transformation. Am Anfang haben wir mit technischen Sanierungen begonnen, inzwischen bewältigen wir ganz andere Projekte. Wir haben gerade den Gestaltungswettbewerb »Wellinghofer Straße« in Dortmund Hörde gewonnen. Da geht es um klimaneutrale Wohngebäude mit Holztragwerk, Strohdämmung und Lehmputz.

Also Transformation in den Projektdimensionen?
Ja, aber nicht nur. Wir haben unsere Arbeit und unsere Prozesse ganz stark digitalisiert. Nicht weil wir es mussten, sondern weil wir es wollten. Wir wollen hier Treiber statt Getriebener sein.

Neubau TEK Buschei, Dortmund Scharnhorst

Wie zeigt sich das in der Praxis?
In agilen Managementmethoden und digitaler Zusammenarbeit. Zum Beispiel durch die BIM-Methode: digitale Gebäudemodelle, in denen Informationen direkt am geplanten Bauteil zur Verfügung stehen, eröffnen ganz neue Möglichkeiten der Qualitätssicherung oder der Überprüfung, wo man gerade mit den Kosten im Projekt steht. Das hat auch elementare Auswirkungen für eine Nachhaltigkeitsplanung. Ökobilanzen lassen sich auf Grundlage von Gebäudemodellen effektiver erstellen und Umweltauswirkungen lassen sich durch BIM frühzeitig ableiten.

Digitale Gebäudedaten eröffnen aber noch weitere Möglichkeiten, oder?
Wir experimentieren gerade mit Virtual Reality. Mit einer VR-Brille kann man sich schon in frühen Planungsphasen durch die Gebäude bewegen. Oder auch außerhalb. Man kann Oberflächen und Materialien erkennen, wie Gebäude zueinander stehen oder wie das Licht im Tages- oder Jahresverlauf auf die Fassade wirkt. Davon profitieren wir auf Planer- und Architektenebene, aber auch für Auftraggeber und Nutzer ist das natürlich sehr interessant.

Wie stehst du zu KI?
Aus geobasiertem Datenmaterial lassen sich KI-gestützt in kürzester Zeit Bestands- und Potenzialanalysen für Projektentwicklungen, Sanierungen oder für Nachverdichtungen generieren. Auch vereinfachte Lebenszykluskosten lassen sich relativ schnell erstellen. Das nutzen wir in frühen Planungsphasen.
Zukünftig wird uns KI sicher bei der Ausgestaltung von Grundrissen helfen können. KI produziert für uns dann Varianten und wir entscheiden, welche die richtige ist. KI wird uns da entlasten, wo die Fleißarbeit zu liefern ist – auch bei der Optimierung von Gebäudehüllen oder von städtebaulichen Maßstäben.
Die Hoffnung ist natürlich auch, dass Baugenehmigungsprozesse vermehrt digitalisiert werden. Dass Sachbearbeiter nur noch fallbezogene Entscheidungen treffen müssen. Ich glaube, das brauchen wir, um die Herausforderung, dass unsere Gebäude nachhaltiger werden, überhaupt bewältigen zu können.

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Nachhaltigkeit und klimaneutrales Bauen

Deine Haltung zur Architektur hat sich offensichtlich auch verändert.
Ich sehe Baukultur als Grundstein für Nachhaltigkeit in unserem Bereich. Nur wenn ein Gebäude eine baukulturelle Qualität hat, kann man diese Werte auch in den späteren Jahrzehnten erkennen, nutzen und ihm eine entsprechende Wertschätzung entgegenbringen. Und die Prozessqualität ist damit von entscheidender Bedeutung, denn Gebäude sind auch Tragwerk und Material und Fügung und Licht und Komfort. Wir müssen wieder eine andere Art des Konstruierens lernen. Dass wir Materialien nicht zusammenkleben und mischen, sondern fügen. Dass sie in ihrer Materialeigenschaft den spezifischen Kreisläufen einfacher wieder zuzuführen sind. Beton zu recyclen ist zum Beispiel sehr aufwendig, das ist kein guter Weg.
Wir sollten auch wieder öfter das Material nutzen, das uns lokal zur Verfügung steht, um eine stärkere Identität mit dem Ort zu schaffen. Im Rahmen von »Dortmund zirkulär« wirke ich in diesem Zusammenhang aktuell an einem Projekt der Wirtschaftsförderung Dortmund mit.

Sanierung und Umbau InterCity-Hotel Dortberghaus, Dortmund

Schlägt sich das in Projekten nieder?
Umnutzungen wie das InterCity Hotel Dortberghaus, Sanierungen wie das Sozialamt in Dortmund oder den Umbau des Schulmuseums in Dortmund Marten zu machen, ist sehr spannend. Bestehende Gebäude für die nächste Nutzungsphase von 40, 50 Jahren auf aktuelle Betriebskonzepte umzustellen: mit notwendiger Anlagentechnik, energetischer Sanierung, Lärmschutz, Brandschutz und natürlich vor allem die Belange der Nutzer damit zu vereinen.

Du hast auch maßgeblich am »Leitfaden Klimaneutrales Bauen« der Stadt Dortmund mitgewirkt. Worum geht es da genau?
Dortmund will 2035 klimaneutral sein. Dazu finden umfangreiche Maßnahmen seitens der Kommune statt – als Akteur und Treiber. Durch die Wirtschaftsförderung, das Umweltamt und die Städtische Immobilienwirtschaft. Klimaneutrales Bauen ist dabei einer der Eckpfeiler. Gemeinsam mit den Verantwortlichen der Städtischen Immobilienwirtschaft werden wir im Endeffekt eine Ökobilanzierung für die Immobilienprojekte der Stadt Dortmund implementieren. In Zukunft wird der Fokus von der reinen Betriebsphase eines Gebäudes so erweitert, dass man auch die Errichtung – Stichwort graue Energie – sowie die Rückbauphase unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit mitbetrachtet.

Sozialamt Dortmund, Energetische Sanierung.

Viele werden sagen, das macht das Bauen noch komplizierter und teurer.
Ja, es ist komplex, aber zu sagen, wir machen es nicht, weil es zu komplex ist, ist aus meiner Sicht keine Alternative. Bei den Kosten wird im Übrigen häufig nur die Investitionsseite betrachtet. Aus meiner Sicht muss aber die Betriebsphase viel stärker miteinbezogen werden. Was die Energiekosten angeht, aber auch die Gebäude- und Anlagentechnik. Durchdachte Low-Tech-Ansätze können zum Beispiel Instandhaltungs- und Wartungskosten sehr stark senken.

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Werte, Workshops, Wünsche

Was waren und was sind die größten Herausforderungen für dich?
Rückblickend: eine wertebasierte Unternehmenskultur zu entwickeln und mit Leben zu füllen. In mehreren Workshops haben alle Mitarbeitenden gemeinsam Leitsätze, die auf Werten gründen, erarbeitet und einen Verhaltenskodex verabschiedet, der sich daraus ableitet.
Aktuell: eine Umbaukultur zu entwickeln. Eine verantwortungsbewusste Kultur mit dem Physischen, mit dem Bestand. Mit den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen. Aus Respekt, weil man feststellt, dass das, was wir tun, zu viel ist. Und genau das jungen Menschen zu vermitteln, ohne dass sie dies überfordert, das empfinde ich als sehr große Herausforderung.

Wie führst du deine Mitarbeiter?
Ich versuche immer Transparenz zu erzeugen, wie und warum Entscheidungen getroffen werden. Ich versuche wertschätzend zu sein. Durch meine Sprache und durch den Respekt im Umgang miteinander. Ich sehe hier für mich Menschen und Weggefährten, keine Angestellten und Stellenbeschreibungen. Ich versuche, empathisch den Menschen zu begreifen und ihn an seine Stärken zu bringen und nicht seine Schwächen auszumerzen. Herkunft, Geschlecht und sozialer Status spielen für mich keine Rolle. Es geht mir mehr um Haltung, so bin ich hier im Ruhrgebiet sozialisiert.

Werte, Leitsätze und Verhaltenskodex. Entwickelt in Mitarbeitendenworkshops.

Ein Blick in die Zukunft: Wo siehst du dich und das Büro in zehn Jahren?
Wie das in zehn Jahren aussieht, kann ich zunehmend weniger sagen. Ich weiß aber auch nicht, ob das so wichtig ist, weil das Leben im Hier und Jetzt stattfindet und nicht in drei, fünf oder zehn Jahren. Ich glaube, man muss es anders sehen: Man muss aus einem resilienten Ansatz kommen, um sagen zu können, wir sind stabil genug für die Herausforderungen, die vor uns liegen, die wir aber noch nicht kennen.

Wenn du einen Wunsch für dein Büro frei hättest – welcher wäre das?
Ich habe gerade ein sehr interessantes Buch von Frauke Fischer gelesen: »Was hat die Mücke je für uns getan?« Das dreht sich um Biodiversität. Ich würde mir wünschen, dass man einfach das macht, was richtig ist für eine lebenswerte Zukunft. Es ist ja nicht so, dass wir nicht wissen, was möglich ist. Wir tun es halt nur nicht, weil wir uns von wenigen dahintreiben lassen, es nicht zu tun.